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Andrea Balzola
Johannes Pfeiffer: Architektur der Vision
"Und die Nacht ihrerseits zeugte die Erde und den weiten Himmel, befreite
sie aus ihrer Verborgenheit und enthüllte ihr wahres Wesen..." (orphische
Fragmente)
1. Die orphische Reise des Baukünstlers: die 'tiefgründigen'
Installationen
Laut antiker Kosmologien aus unterschiedlichsten und entfernten
Breitengraden werden Natur und Mensch von der Erde hervorgebracht, während
die Werke der Menschen aus dem Dunkel hervorgehen, aus den Nächten des
Schöpfens und des Träumens mit geöffneten Augen. Die Erde ist die
Wohnstätte des Dunkels, die jedoch im Licht der Sonne und im Reflex des
Mondes erstrahlt. Das Werk aus dem Dunkel gestalten, die Form aus Erde und
Gestein befreien, darin besteht die mythische und gleichzeitig sehr
konkrete Arbeit des Bildhauers. Ein uraltes Handwerk und doch immer wieder
neu und gegenwärtig, wenn der Künstler über die Fähigkeit verfügt, die
Formen seiner Zeit zu verwenden, um von dem zu berichten, was der Zeit
entflieht. Gerade deshalb ist Johannes Pfeiffer ein durchweg
zeitgenössischer Künstler, der, im Unterschied zu zahlreichen seiner
Kollegen, das antike Gedächtnis, die mythische Erinnerung nicht verloren
hat; ganz im Sinne der Worte Aristoteles: "Der Freund der Weisheit ist ein
Freund des Mythos."
Pfeiffer ist Maurer und Schmied symbolischer Installationen und Eingriffe
im natürlichen und künstlichen Raum, die vorwiegend unter Verwendung
traditioneller Baumaterialien geschaffen werden: Ziegelsteine,
Armiereisen, Kunstfaserschnüre. Der von ihm bevorzugte handwerklich
gefertigte Ziegelstein gilt als die Zelle, als das Modul seiner Formen,
während Armiereisen und Schnüre als strukturelle Elemente die
Metamorphosen der formalen Organismen verbinden und ihnen Spannung
verleihen. Ich bezeichne sie als Organismen, da es sich bei der sie
erzeugenden Zelle in der Tat um nichts anderes als um Ton handelt, durch
Feuer kompakt gewordene und in eine geometrische Form gebrachte Erde;
modellierte und modellierende Erde einer visionären Architektur, bei der
es sich sicherlich um entworfene Künstlichkeit handelt, deren Wurzeln aber
dennoch im Geheimnis der Natur zu suchen sind. Nachdem Pfeiffer in
Pietrasanta die traditionellen Techniken der Marmorbearbeitung erlernt
hat, entdeckt er, daß er eher zum 'Baukünstler' als zum Bildhauer berufen
ist: er zieht es vor, Materie raumgestaltend einzusetzen, statt sie direkt
zu bearbeiten.
Zu Beginn der 90er Jahre scheint sein Schaffen zwei verschiedene Wege
einzuschlagen: Luftvisionen und Erdvisionen. Auf der einen Seite fordert
Pfeiffer mit der schwungvollen Gestik typischer germanischer Titanomachie
kontinuierlich die Schwerkraft heraus: In seinem, den Fall der Berliner
Mauer bereits vorwegnehmenden, 1989 entstandenden Werk 'Ost-West' stehen
sich zwei bedrohlich einander zugeneigte Mauern gegenüber; sie werden
lediglich durch ein Lichtstrahlen gleichendes Nylonfadenbündel
festgehalten, das von einem in der Erde verankerten Eisenring ausgehen.
Dasselbe Prinzip zugrundelegend, realisiert Pfeiffer im Jahr 1991 auf dem
'Piazza dei Miracoli' in Pisa ein Alter ego des berühmten Schiefen Turms;
eine modellhafte 'lyrische Lösung' zu seiner Rettung. Und noch im selben
Jahr das Werk 'Deichwächter', bei dem ein quadratisch angelegtes, vertikal
ausgerichtetes Armiereisenbündel eine Ziegelsteinfläche stützt; dadurch
entsteht eine Figur, die das Gewicht nach oben projiziert und die in ihrer
serienhaften Wiederholung den martialischen Gang absurder Wachposten
bloßzulegen scheint.
Die andere, von Pfeiffer im Jahr 1992 mit drei besonders signifikanten
Arbeiten eingeschlagene Richtung geht in die Tiefe; diese Reise umfaßt die
Doppelbewegung des Ein- und Auftauchens; der orphische Weg in die Hölle
und die Rückkehr. 'Omaggio a Orfeo' ('Hommage an Orpheus') lautet in der
Tat der Titel einer auf einer toskanischen Wiese aufgestellten Skulptur
(Etrurien ist der ideale Boden für diese Reisen). Pfeiffer hat dazu eine
tiefe Wunde in das sich neigende Erdreich gegraben; sie wird durch zwei
parallele Ziegelsteinwände begrenzt, die treppenförmig abnehmen und
miteinander durch Armiereisen verbunden sind. Das Ergebnis wirkt auf den
Betrachter überraschend und deplaciert, da er mit einer Treppe
konfrontiert wird, deren Metallstufen symbolisch in das obskure Erdinnere
eindringen, die jedoch gleichzeitig nicht physisch hineinführt; man steht
dem Dunkel gegenüber, man tritt scheinbar hinein, es gibt jedoch kein
Durchdringen. Eine lyrische Reise zum Mittelpunkt der Erde, aber auch
gleichzeitig ein Auftauchen der ihr eigenen Mysterien; und damit kehren
wir zu unseren anfänglichen Erwägungen zurück: Die Erde ist die Wohnstätte
der Dunkelheit und im Dunkel liegen die Werke der Erdbewohner begründet.
Und es ist tatsächlich das Auftauchen eines unterirdischen Mysteriums, das
uns im Werk 'Das ungenannte Tier' entgegentritt; die Ziegelsteinzelle
bildet eine in die Erde eingelassene Dreiecksfläche, aus der sich der
beängstigende, von Armiereisen gestützte 'Kopf' erhebt. So wie die
Erdscholle zum Ziegelstein wird, verwandelt sich die Haut der Erde in eine
namenlose Kreatur, mit einem Rücken aus Ton und einer Seele aus Stahl. In
diesem Werk manifestiert sich deutlich der Wille Pfeiffers, nämlich ein
scheinbar unlösbares Paradox konkret in eine Struktur zu fassen; Gewicht
und Immobilität als Prinzipien der Spannung und damit der Bewegung. Über
den strukturellen Entwurf findet die Konstruktion zu ihrer Natur als
lebendiger Organismus, so wie ihrerseits die Konstruktion den natürlichen
Elementen zu entwachsen oder in diese einzutauchen scheint; es besteht
also kein Widerspruch zwischen natürlicher Zeugung und konstruierter
Künstlichkeit. Da kann es schon eher vorkommen, daß die Bewegung der Idee
gewollt blockiert, in der Struktur gefangengehalten wird, wie dies mit
großer Ausdruckskraft bei dem im Nilpferdbecken des ehemaligen Turiner
Zoos gestalteten Objekt umgesetzt wird; dieses dem Richter Giovanni
Falcone gewidmete Werk trägt den Titel 'E la nave va'. Der stilisierte,
zwischen den Gitterstäben gestrandete und eingeklemmte Kiel eines Schiffes
taucht aus dem Wasser auf; Untertauchen wird hier zum Untergang, das
Navigieren in der Wahrheit und Freiheit wird verhindert, wird abgebrochen
durch die infernale Berufung der Menschen und der gefallenen Engel.
Die moralische Spannung vieler Werke Pfeiffers, wir möchten hier an eine
Serie emblematischer Särge erinnern ('Zu Lebzeiten...', 1993), die die
absurde jugoslawische Tragödie ins Gedächtnis rufen, ist Teil der
intimsten Motivation des Schaffens, denn der Baukünstler konstruiert
Visionen der Welt und Visionen in der Welt; unausweichlich produziert er
damit 'Metaphorische Monumente' und Träger kollektiver Reflexion, wahre
und echte Vehikel zur Befragung der Realität und ihrer Erscheinungsformen.
Auch hierin zeigt Pfeiffer eine 'traditionelle' Sensibilität, indem er die
narzistischen und formalistischen Fallen eines zeitgenössischen
Künstlerindividualismus vermeidet, um den gestalterischen und
performativen Wert der künstlerischen Suche zurückzugewinnen; auf diese
Weise wird die symbolische Funktion wieder in den Mittelpunkt der
persönlichen und sozialen Aufmerksamkeit gerückt, eine Funktion, die die
Bildenden Künste zunehmend zu Gunsten der erzwungenen Kommunikation der
Massenmedien verloren haben.
2. Das Werk aus dem Dunkel: blinde Visionen und Lichtprojekte auf
sensiblen Filmstreifen
Als wir davon sprachen, daß das Werk im Dunkel wurzelt, sprachen wir nicht
in Metaphern; die Objekte Pfeiffers werden tatsächlich aus dem Schwarzen
gezeugt. Der Künstler entwickelt im Geiste den Werkplan, indem er sich mit
geschlossenen Augen das embryonale Projekt vorstellt und unverzüglich auf
dem Film frei skizziert. Immer mit geschlossenen Augen. Hier wird der
Orphismus seiner ober- und unterirdischen Visionen zur räumlichen
Manifestation einer originellen Konzeption künstlerischer Prozessualität,
von ihren Quellen bis zu ihrer Mündung.
Pfeiffer sieht im Dunkel, denn sein künstlerischer Geist läßt die Räume
entstehen, in denen sein Körper das Werk errichten wird. Das geistige Auge
befruchtet mit seiner Vision den zu gestaltenden Raum. Es zeichnet die
Umrisse der Form in den potentiellen Raum der Idee. Zur besseren
Konzentration schließt er die Augen, die Bilder der Welt können so nicht
dazwischentreten, können das Entstehende - Idee oder Form - nicht
auflösen; der Körper wirkt mit, indem er seine Wahrnehmungen auf der
geistigen Leinwand fixiert, in der Erwartung, diese in sensible Baumaterie
zu verwandeln.
Projekt und Konstruktion sind die beiden Spannungspole, die Pfeiffer in
seinen Objekten geltend macht; tatsächlich entspricht das Objekt einer
architektonischen Idee von Skulptur: Indem das Werk den physischen Raum
besetzt, reformiert es denselben, definiert ihn neu als symbolischen Raum.
Das Werk selbst, das den physischen Raum wiedergebiert, entsteht jedoch in
einem geistigen Raum; physischer Raum und geistiger Raum spiegeln sich
also durch das äußere und innere Erscheinen des Werkes wider.
Das dreidimensionale Werk ist für Pfeiffer die Architektur der Idee;
gerade an dieser Stelle erreicht die konstruktive Bedeutung der
ästhetischen Idee ihre ethische Dimension. Die Konstruktion wird Metapher
und die Metapher wird Konstruktion; emblematisch wird dies durch die
offensichtliche Fragilität der Nylonschnüre angedeutet, die Pfeiffer
häufig einsetzt, um gewichtige Strukturen zu tragen und die aus der
Entfernung Lichtstrahlen gleichen - Gewicht und Schwerkraft des
Ziegelsteins werden dadurch kontrastiert und produzieren auf diese Weise
eine ungewöhnliche Dramatik. Eine strukturelle und ideale Spannung, in der
das Projekt Gegenständlichkeit und Kompaktheit der verwendeten Materialien
herausfordert. Vorstellung und Materie im Duell für ein gemeinsames Ziel.
Ist das Projekt eine im Dunkel geborene Vision, so kann die formgebende
Materie nichts anderes als Licht sein; und in der Tat versucht Pfeiffer,
auf der Suche nach den Quellen seines Werkes, die embryonalen Bilder
seiner geplanten Objekte auf Filmstreifen zu bannen. Er beritzt den Film
mit geschlossenen Augen, als wolle er die vergängliche Spur der Idee
festhalten; er schließt die Augen, um besser in sich hinein zu sehen. Und
der schwarze Film, auf den er Lichtblitze aufträgt, was kann der anderes
sein als die Spiegelfläche der geistigen Leinwand? Pfeiffer hält die
Formen im Augenblick ihrer Erscheinung fest; seine Schrift ist jedoch
nicht die automatische Schrift der Surrealisten, also die unmittelbare
Chronik des unbewußten Chaos, sondern sie ist das bewußt angestrebte
Resultat der Konzentration, eine Disziplin, die darauf abzielt, aus der
Quelle des Geistes den Plan des neuen Werkes zu schöpfen. Das Blindsein
ist die symbolische Bedingung einer in die Tiefe dringenden Vision, sowohl
in der gelehrten und mystischen Tradition (die Hellsichtigkeit des
Griechen Teiresias oder des Germanen Odin, die meditative Absorption
Buddhas und die Seelennacht des S. Giovanni della Croce) als auch in der
künstlerischen Intuition (das durchgeschnittene Auge von Bunuel und Dali,
die sublimierte Blindheit von Borges), denn Blinde sehen in sich selbst
hinein und über die Erscheinung der Phänomene hinaus.
Etymologisch bedeutet Fotografie die 'Schrift des Lichts': indem er den
Film mit dem Licht des Graffito beschriftet, bannt Pfeiffer den kreativen
Geist in Augenblicksaufnahmen, Fotografien der geistigen Schöpfung des
Werkes. Vergrößert und an die Wand gehängt, setzen sich diese Bilder zu
leuchtenden Ideogrammsequenzen zusammen, die aus dem Dunkeln in den Raum
hinein Anlage, Auftauchen und Manifestation des Werkes projizieren.
Pfeiffer setzt auf originelle Weise das Hilfsmittel des photographischen
Bildes ein, indem er, in Funktion einer motivierten und bewußten
künstlerischen Prozessualität, die neuen visiven Qualitäten des
technologischen Mediums mit der ältesten aller Techniken, der
Graffitozeichnung, verbindet. Damit wird demonstriert, daß den
künstlerischen Ausdrucksmitteln - wie alt, neu oder futuristisch sie auch
sein mögen - Wert und Sinn allein durch die Klarheit des Projektes und die
Motivationskraft des Künstlers verliehen wird, denn es existiert weder
Materie noch Technik, die verwendet werden kann, ohne daß deren
Transformation verstanden wird.
Mit seinen Leuchtgraffitis schließt Pfeiffer also den Kreis seiner Arbeit,
indem er mit Hilfe zweier getrennter und doch komplementärer Phasen
desselben künstlerischen Prozesses den geistigen und physischen Raum des
Werkes ausmißt. Die Vision ist jedoch auch eine Herausforderung, denn bis
zuletzt weiß Pfeiffer nicht mit Sicherheit, ob sich das geplante Wagestück
realisieren läßt, ob die eingesetzten Spannungen das Gewicht der Materie
aushalten. Auch die früheren Baumeister der Kathedralen konnten für das
Gelingen ihrer schwindelerregenden Projekte niemals garantieren; der
Entwurf war jedoch der Embryo eines noch ausstehenden Wachstums und er
konnte jederzeit nach empirischen Erfahrungen abgewandelt werden. Jeder
behauene und gemauerte Stein stellte gleichzeitig eine sichtbare
materielle Aktion und eine unsichtbare symbolische Aktion dar, und beide
Aktionen waren gleichermaßen notwendig und unauflösbar miteinander
verbunden: denn damit sich der für die Welt errichtete Tempel mit Wahrheit
und Kraft füllt, ist es erforderlich, daß gleichzeitig der Bau des inneren
Tempels vollendet wird. Ein Kunstwerk der Natur.
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